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Nobelpreisträger Crutzen befürchtet Klima-GAU
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Die Welt - Monday, December 08, 2003
Globale Erwärmung durch Asiens Wachstum
Bangkok - Professor Paul J. Crutzen, Nobelpreisträger für Chemie, muss immer wieder staunen, wenn er nach Asien reist. In Indien und China, in Städten wie Delhi und Peking, 'da schüttele ich nur den Kopf und frage mich', so Crutzen, 'wo kann das hinführen, was für Konsequenzen wird das haben'.
Crutzen gilt als führender Forscher zu Geowissenschaften wie Klimaerwärmung, Treibhauseffekt und Ozonloch. Er erhielt 1995 den Nobelpreis für seine Forschungsarbeiten zu stratosphärischer Chemie und deren Rolle in biochemischen Zyklen und im Klima - Crutzen erklärt, weshalb sich das Erdklima erwärmt und was Menschen zu fürchten haben könnten: einen Klima-GAU.
Nach einer aktuellen UN-Studie sind beispielsweise Skiorte in Gefahr, in ein paar Jahrzehnten keinen Schnee mehr zu haben. Nicht nur die Schwellenwelt leidet demnach unter Klimaerwärmung, sondern auch die Industrienationen, wobei Entwicklungen auf einem Erdteil einen anderen Erdteil beeinflussen würden. Selbst wenn Europa drastische Gesetze im Rahmen des Kyoto-Protokolls erlassen würde - zieht nicht der ganze Erdball mit, wären die Bemühungen vergeblich. Der gerade 70 gewordene Crutzen hegt Befürchtungen, dass 'politisch nichts passiert, bevor sich ein Klima-GAU ereignet. 'Ich will keine Angst machen, so der Professor, 'aber was soll ich sonst tun, ich mache mir Sorgen.'
Ein Klima-GAU könnte gigantische Ernteausfälle, Trockenheiten, Wetterumstürze und Naturkatastrophen bedeuten. Das im Alltag unscheinbare Klima wäre plötzlich von höchst politischer Bedeutung, zumal jüngst noch sichere Gebiete plötzlich labil sein könnten. Dies mag wohl ein Gedanke gewesen sein, weshalb Crutzen jetzt von der Internationalen Friedensstiftung für einen Friedensdialog nach Thailand eingeladen wurde. Die Stiftung hält im Königreich Dialoge mit Nobelpreisträgern zu diversen Friedensaspekten ab. Crutzen sprach Anfang Dezember zur Luftverschmutzung in Asien und deren globalen Folgen: Ungebremstes Wirtschaftswachstum mit unkontrolliertem Giftausstoß habe nicht nur regionale, sondern auch globale Folgen.
Bräunliche Sonnenaufgänge an herrlich klaren Tagen würden in einer Stadt wie Bangkok eine beängstigende Luftverschmutzung an den Tag legen. Dabei bestehe der Trend, dass Asiens Metropolen noch wachsen. 'Ich bin tief besorgt durch das, was ich sehe', betont Crutzen im Gespräch mit dieser Zeitung. 'Brauchen wir wirklich Städte mit 20 Millionen Einwohnern?' Der Giftausstoß solcher Metropolen durch fossile Brennstoffe und verbrannte Biomasse bleibe nicht ohne Folgen. 'Ich wäre nicht überrascht', so Crutzen, 'wenn wir plötzliche Veränderungen und Instabilitäten im Klima sähen. Ich fürchte, dass sich die Wettersysteme umstellen. Noch wärmere Gebiete mit Folgen für die Landwirtschaft, während riesige Mengen von Rußpartikeln in der Atmosphäre die Einstrahlung von Sonnenlicht vermindern. Versicherungsgesellschaften sind sich dieser Risiken bereits sehr bewusst -schließlich haben sie für immer mehr Ausfälle zu zahlen.'
Die Klimasysteme seien laut Crutzen hoch komplex, nicht-linear und kaum vorhersagbar. Einmal aus der Balance geraten, könnten rapide Klimaveränderungen nur über entsprechende Zeitspannen ausgeglichen werden. Doch die Realität könne sich noch schlechter - oder auch besser - herausstellen, als Modelle die Entwicklungen vorzuzeichnen versuchen.
Klimaforschung sei noch vergleichsweise jung, erklärt Crutzen. Wissenschaftler lägen sich beispielsweise noch immer in den Haaren, ob sich das globale Klima über das vergangene Jahrhundert 'nur' um 1,8 Grad Celsius oder um 4,7 Grad erwärmt habe. Eine sichere Erkenntnis aber habe die Klimaforschung gewonnen: Der Mensch bleibt nicht ohne Einfluss auf die Umwelt. Er könne seinen 'Giftausstoß' lediglich anpassen. Doch meist fehle der politische Wille. Das Kyoto-Protokoll zum Beispiel, das der Klimaerwärmung Einhalt bieten soll, bleibt ein zahnloser Papiertiger. Vielen Regierungen zufolge würde es Wirtschaftswachstum bremsen - ein Teufelskreis. Crutzen beruhigt: Die Eismassen an Nord- und Südpol würden frühestens in 500 Jahren zu schmelzen beginnen. Bis zum Anstieg des Meeresspiegels um sieben Meter bleibe noch etwas Zeit, meint er ironisch. Doch die Wissenschaft versteht die Zusammenhänge zwischen Klima und chemischer Zusammensetzung der Stratos- und Atmosphäre erst in Ansätzen. So hatten britische Forscher das Ozonloch ausgerechnet über der Antarktis entdeckt, in dem Erdteil, der von Industriezentren am weitesten entfernt liegt. 'Wir wären für verrückt erklärt worden, wenn wir das Ozonloch vorausgesagt hätten.'
Europas vergangenen Jahrhundertsommer sieht Crutzen nicht als Folge der Klimaerwärmung. Das sei ein meteorologisches Phänomen mit Veränderungen in Windmustern gewesen, wie es sie schon immer gab. Asien aber mit seinem hohen Ausstoß von schwarzen Kohlenstoffen, also Ruß, aus Biomasse und Diesel habe wachsenden Einfluss auf globale Klimaveränderungen und Wetterphänomene. 'Regierungen in Asien', weiß der Nobelpreisträger, 'kennen die Probleme, doch ob sie Schritte dagegen unternehmen, ist eine andere Sache.'
Mit dem Finger auf andere zu zeigen helfe nicht: Die Erwärmung des Weltklimas sei klar durch die Industriewelt verursacht. Noch weit gehend unverstanden aber sei der Einfluss der hohen photochemischen Aktivität in den Tropen auf die atmosphärische Chemie. Forscher stünden dabei in der Pflicht, Regierungen zu unterrichten. 'Einige Regierungen', sagt Crutzen, 'hören besser zu. Die gegenwärtige US-Regierung tendiert, eher auf Wissenschaftler zu hören, die sagen, alles sei gar nicht so schlimm. Doch wenn wir Wissenschaftler Lobbying betreiben, dann verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit. Und hören Regierung nicht auf uns, dann publizieren wir einfach ein bisschen mehr.'
Wenn man zum Beispiel, so Crutzen, die Klimaerwärmung tatsächlich stoppen wolle, dann habe man den Ausstoß von Kohlendioxid um 60 Prozent zu senken und nicht um die paar Prozent des Kyoto-Protokolls, die eher symbolisch zu sehen seien. Allein der Abbau des Kohlendioxids in der Atmosphäre und die Schließung des Ozonlochs würden rund 50 Jahre dauern.
Ob Wasserstoff eine saubere Alternativenergie zu den üblichen Brennstoffen sein könne, gelte es zu erforschen. 'Wir werden nie in einer Lage sein', wird Crutzen nicht müde zu betonen, 'dass die Menschheit keine Auswirkungen auf die Umwelt hat. Durch Wasserstoff angetriebene Autos entweicht mehr Wasserstoff in die Luft, und das wirkt sich ebenfalls auf die Stratosphäre aus. Das Wasserstoffmolekül sei äußerst klein und könne durch geringste Löcher entweichen. 'Es besteht die Gefahr', so der 70-Jährige, 'dass durch undichte Stellen so viel Wasserstoff entweicht, dass die Reinigungskraft der Atmosphäre beeinträchtigt wird.'
Ungeklärt sei auch die Herstellung von Wasserstoff - entweder durch Sonnenenergie oder eben fossile Brennstoffe, wo dann der Kohlenstoff aufzufangen wäre, bevor er in die Atmosphäre entweicht. Crutzen: 'Zu dieser Auffangmethode steht die Technik noch ganz am Anfang. Und ob es sich chemisch lohnt, weiß man auch noch nicht.'
Lösungsansätze gegen Klimaerwärmung gebe es nicht viele. 'Jeder Erdteil trägt zur Klimaerwärmung bei', sagt Crutzen. 'Wir können das Problem nicht nur an einer Stelle lösen. Wir müssen zusammenarbeiten.'
Daniel Kestenholz
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